Januar 2022
Die unbequeme Nachricht vorweg: Eines der Dinge auf dem Weg zu mehr Wohlbefinden, Lebensfreude und Glück ist, dass es nicht reicht, Informationen darüber zu haben, was Dich glücklich macht, sondern dass Du diese Dinge auch wirklich in die Tat umsetzen musst. Wissen allein ohne Bewegung hat noch nie zu wirklichen Veränderungen geführt. Und umgekehrt ist Bewegung ohne Wissen ziellos und geht ins Leere.
Viele Dinge, von denen wir denken, dass sie uns glücklich machen würden, schaffen genau das gerade nicht. Es ist eine spannende Frage, warum wir so oft falsche Erwartungen an diese Dinge haben. Die Folge davon, dass wir offenbar immer häufiger aufs falsche Pferd setzen, ist, dass immer mehr Menschen unglücklich und sogar depressiv werden. So werden anti-depressive Medikamente in den USA heute 400 mal so häufig verschrieben als noch vor 20 Jahren. 400 mal!
So scheint also die Frage, was dann die richtigen Dinge auf dem Weg zu mehr Wohlbefinden und Glück sind, offenbar nicht so einfach zu beantworten zu sein. Wie kommst Du zu mehr körperlich-seelischer Gesundheit, Lebenszufriedenheit und Stressbewältigung?
Eine ganz allgemeine und doch prinzipiell optimistische Antwort darauf gibt uns Franz Kafka, der sagt:
„Auf jeden Fall gibt es Möglichkeiten für mich - aber unter welchem Stein sind sie verborgen?“
Das also gilt es im Leben herauszufinden.
Mehr Geld, mehr Wohlstand
Fangen wir mal ganz handfest mit dem Faktor Geld an, auch wenn wir es schon ahnen: Die Gleichung „mehr Geld gleich mehr Glück“ stimmt nicht unbedingt. Schon oft wurde die Frage untersucht, inwieweit uns mehr Geld im Leben glücklicher macht. Erhöht ein höheres Einkommen die Lebenszufriedenheit, wenn Du in einem relativ reichen Land wohnst? Die Antwort ist: Vielleicht ein bisschen. Wenn Du in einem reichen Land wohnst und nur 10.000 € pro Jahr verdienst, würde Dich vielleicht mehr Geld tatsächlich glücklicher machen. Sobald man aber seine Grundbedürfnisse erfüllt hat, hilft mehr Geld nicht mehr so viel. Für die meisten macht dann mehr Geld kaum einen Unterschied.
Das gilt auch in der historischen Perspektive. Der Forscher David Myers hat das in seinem Buch „The American Paradox“ erklärt: Im Vergleich zu ihren Großeltern sind junge Erwachsene heutzutage in viel größerem Wohlstand aufgewachsen. Aber zugleich hat der Grad an Glücklichsein etwas abgenommen und es gibt tatsächlich ein viel größeres Risiko, Depressionen und anderen Arten von Sozialpathologien zu erleiden. Das ist paradox, weil unser Wohlstand objektiv gewachsen ist. Trotzdem waren die letzten vier Jahrzehnte nicht gekennzeichnet von gesteigertem subjektiven Wohlbefinden.
Tolle Dinge kaufen können und erfolgreich Abnehmen
Das bewusste Streben nach mehr materiellem Wohlstand macht sogar besonders unglücklich, wie die Forschung zeigt. Eine interessante Studie von Carol Nickerson hat dargelegt, dass eine ausgeprägt materialistische Haltung bei Studenten, verbunden mit dem Wunsch, später im Leben teure tolle Dinge kaufen zu können, 20 Jahre später zu einer geringeren Lebenszufriedenheit geführt hat als in der Gruppe der weniger materialistisch eingestellten Studenten. Teure Autos, luxuriöse Kleidung oder sündhaft teure Technik zum Ziel zu haben, macht also nicht nur nicht glücklich, sondern tatsächlich vergleichsweise unglücklich.
Ähnliches sehen wir in Bezug auf Körper und Schönheit. Auch hier zeigen Studien, dass Dinge, von denen wir vielleicht glauben, dass sie glücklich machen werden, wie z.B. Gewicht zu verlieren oder sogar den Körper durch eine Schönheits-OP vermeintlich zu perfektionieren, unser Wohlbefinden im Gegenteil eher zu beeinträchtigen scheinen. Studien haben gezeigt, dass Phänomene wie Selbstmordgedanken, Alkoholkonsum, Verhaltensauffälligkeiten sich bei Menschen, die sich einer Schönheits-OP unterzogen haben, mit der Zeit klar verschlimmern.
Die Psychologin Sarah Jackson hat bei einer Untersuchung in Großbritannien herausgefunden, dass auch erfolgreiches Abnehmen einfach nicht so glücklich macht wie wir vielleicht denken: Bei Menschen, die erfolgreich abgenommen haben, gab es nach 4 Jahren eine 52% höhere Wahrscheinlichkeit, in einer depressiven Stimmung zu sein als bei Menschen, die ihr Gewicht nicht reduzieren konnten – allen enormen, positiven physischen Veränderungen zum Trotz.
Und ein weiteres Beispiel, ganz abseits von Konsum und idealen Körpervorstellungen: Studien zeigen, dass auch perfekte Noten in Schule und Studium nicht dazu beitragen, das Wohlbefinden von Schülern und Studierenden dauerhaft positiv zu beeinflussen.
Ganz vieles, von dem wir also intuitiv annehmen, dass es uns zu Wohlbefinden und Zufriedenheit führen kann, hat letztlich keinen nachweisbaren positiven Effekt. Du kannst Dir viele verschiedene Lebensbereiche ansehen und wirst immer wieder das Gleiche feststellen müssen: Ganz viele Dinge, auf die wir abzielen und für die wir viel Energie und Zeit einsetzen, sind einfach nicht hilfreich dabei, wirklich zu mehr Glück und Lebenszufriedenheit zu kommen. Die meisten der Ziele, von denen wir denken, dass sie uns glücklich machen, tun dies nicht.
Die Forschung von Sonja Lyubomirsky gibt Anlass zur Hoffnung. In ihrem Buch „Glücklich sein: Warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben“ hat sie untersucht, welchen Anteil Gene und welchen Anteil glückliche oder tragische Lebensumstände daran haben, wie zufrieden wir uns fühlen.
Genetisch festgelegt sind etwa 50% - das meint, dass manche Menschen das Glas eher halb voll, andere das Glas eher halb leer sehen. Das Erstaunliche in der Untersuchung ist der Anteil der Lebensumstände und -ereignisse am Glücklichsein: Die Dinge, von denen wir annehmen, dass sie einen großen Einfluss haben, zum Beispiel ein Autounfall, eine Querschnittslähmung oder ein Lottogewinn, all dies leistet eigentlich den kleinsten Beitrag zu unserem Glück. Anscheinend macht das nur etwa 10% unseres tatsächlichen Glücks aus. Und jetzt die gute Nachricht: 40% unseres Glücks werden von Handlungen, Intentionen und Gewohnheiten bestimmt und im Gegensatz zu Genen und Lebensumständen können wir diesen Teil wirklich kontrollieren. Sonja Lyubomirsky sagt: Unsere Handlungen, bei denen wir uns Mühe geben, haben einen großen Einfluss darauf, wie glücklich wir sind, sogar mehr als die Gene und unsere Lebensumstände. Wir können also tatsächlich daran arbeiten, glücklicher zu sein. Das Problem ist, dass wir oft auf die falschen Dinge hinarbeiten: Wir investieren unsere Zeit und Energie in Dinge wie mehr Geld, teure Kleidung oder eine herausragende Karriere - wir zielen auf diese Dinge ab, aber wir haben gesehen, dass es das nicht ist, was uns glücklich macht.
Erwartungen und Maßstäbe – Idealbilder aus einer Traumwelt
Wie wir Dinge in unserem Leben einschätzen, hängt natürlich immer von unseren Erwartungen ab. Und wir alle haben schon die Erfahrung gemacht, dass ein Urlaub oder eine Party, auf die wir uns riesig freuen, unseren hohen Erwartungen nicht entspricht und wir am Ende ziemlich enttäuscht sind. Umgekehrt funktioniert es genauso: Ein Treffen mit Freunden, auf das wir eigentlich gar nicht viel Lust haben, überrascht uns positiv und wir haben einen der besten Abende der letzten Zeit. Der Psychologe Jens-Uwe Martens schlussfolgert aus dieser Erfahrung nicht etwa, dass wir nun also alle Pessimisten werden und unsere Erwartungen auf Null zurückdrehen sollten, sondern plädiert dafür, eher so etwas wie realistische Optimisten zu werden. Als ein solcher realistischer Optimist schaust Du immer auch auf die Risiken einer Situation. Du versuchst, dass Deine Erwartungen realistisch bleiben. Dazu kannst Du Dir regelmäßig Deine Bewertungsmaßstäbe ansehen und vielleicht dann und wann auch nachjustieren. Der Mensch bewertet immer, das ist evolutionär gegeben. Denn wer die Dinge in gefährlich oder ungefährlich, in gut oder schlecht einteilt, lebt länger. Aber um etwas bewerten zu können, muss Du eine Vorstellung davon haben, wie es idealerweise zu sein hat. Du brauchst einen Maßstab. Schwierig wird es dann, wenn Deine Maßstäbe nicht auf Erfahrungen basieren, sondern vornehmlich durch Deinen Medienkonsum geprägt werden. In sozialen Netzwerken, in Filmen oder der Werbung siehst Du am laufenden Band ausschließlich wundervolle Urlaubsfotos, himmlische Sonnenuntergänge und schöne Menschen auf umwerfenden Partys mit toller Atmosphäre. All das prägt natürlich unsere Maßstäbe und wenn sich diese Idealbilder dann nicht erfüllen, erleben wir Enttäuschungen und bewerten die Dinge als schlecht. Jens-Uwe Martens folgert daraus: „Würde man sich öfter klarmachen, dass viele unserer Maßstäbe in einer Traumwelt angesiedelt sind, ginge es uns schon besser.“
Die Unbeständigkeit schätzen. Oder: Leben heißt auch Nicht-Freude
Ein noch wichtigerer Aspekt neben unseren überzogenen Maßstäben ist die Einsicht, dass der Schlüssel zu mehr Zufriedenheit gar nicht in den äußeren Umständen liegen kann, sondern in unserer Reaktion auf die Umstände. Der Psychologe und Berater Jens Corssen hat das folgendermaßen formuliert: Es geht es darum, sich in den Wandel, also das Leben selbst zu verlieben. Das ist etwas fundamental Anderes als die Haltung des bemüht ausschließlich positiv Denkenden, der versucht, sich die Welt in allen Aspekten rosarot zu denken. Damit wird man auf Dauer scheitern, weil Nicht-Freude immer auch die Voraussetzung für das Erleben von Freude im Leben ist. Ähnlich hat es auch der Philosoph Wilhelm Schmid ausgedrückt: Im Gegensatz zu einem weitverbreiteten Gerücht ist so etwas wie Askese im Leben keineswegs lustfeindlich, ganz im Gegenteil: Wer zur Askese in der Lage ist, hat den größeren Genuss. Natürlich ist Genießen großartig und es ist auch wiederholbar. Aber Genießen braucht auch Pause. Ohne diese Pausen suche ich nach immer stärkeren Reizen, deren Genuss jedoch dann schnell sehr schal ausfällt. Erfüllung im Leben finde ich nicht dadurch, dass ich darauf abziele, ständig zu genießen, sondern dadurch, dass ich in der Lage bin, genussfreie Zeiten gut zu bewältigen. Gleichzeitig kann ich in unschönen Situationen Kraft daraus schöpfen, immer wieder das Schöne zu suchen. Freude und Genussmomente rüsten mich dafür, die Herausforderungen des Lebens besser zu bestehen.
Der Mythos vom perfekten Leben
Viele Menschen leiden heute, weil sie ihr Leben mit einem vorgestellten Idealbild vergleichen, wie das Leben zu sein habe. Das fängt mit Konditionierungen in der Kindheit an. So hat beispielsweise der amerikanische Psychologe Philip Zimbardo 1991 in kulturvergleichenden Untersuchungen herausgefunden, dass Schüchternheit unter Japanern, Taiwanesen und Deutschen besonders ausgeprägt ist. Er erklärt dies damit, dass man in diesen Kulturen, in denen Schüchternheit und damit die Angst vor dem Versagen verbreitet ist, Kinder spüren lässt, dass ihr Wert und die Liebe, die sie sich von den Erwachsenen wünschen, von ihrer eigenen Leistung abhängen. Sie müssen erst einmal beweisen, dass sie die Liebe verdient haben. Erfolg wird für selbstverständlich gehalten, Belohnungen gibt es höchst selten. Misserfolg dagegen wird schnell als Schande angeprangert und an die große Glocke gehängt.
Solche Prägungen aus der Kindheit formen zusammen mit den falschen Erwartungen und persönlichen Wünschen das Idealbild von vielen von uns, die dann einen hohen Preis dafür zahlen, solch hohe, letztlich nie erfüllbaren Erwartungen zu haben. Das Leben erfüllt diese Erwartungen zwangsläufig nicht – wir sehen uns einem unrealistischen Zerrbild gegenüber, eine irreale Mischung aus beruflichem Erfolg und Karriere, perfektem Urlaub, perfekter Gesundheit, perfekter Beziehung. Dann enden wir im Leiden und weisen uns oft auch noch selbst die Schuld daran zu.
Einen Ausweg finden wir, wenn es uns gelingt, unsere innere Haltung zu verändern. Erfahrungsgemäß gelingt dies besonders gut mit Meditation und Achtsamkeit. Die großen Meditationstraditionen haben eine sehr menschliche Botschaft für uns. Sie lehren, dass das ideale irdische Leben ein Mythos ist. Eine buddhistische Weisheit sagt, dass Leiden darin besteht, zu wollen, was man nicht hat und nicht zu wollen, was man hat. Das Glück besteht aber genau im Gegenteil – darin, zu genießen, was man hat und nicht danach zu gieren, was man nicht hat. Das heißt nicht, dass wir unsere Träume und Wünsche aufgeben müssen, sondern nur, dass wir sie mit der Fähigkeit ins Gleichgewicht bringen müssen, die Dinge zu akzeptieren, wie sie sind.
Wir alle kennen diejenigen, die von außen betrachtet ein recht gutes Leben haben, die sich aber dennoch häufig über sehr kleine Dinge beschweren. Interessant ist hierbei ein Blick auf Menschen, denen der Tod nahe bevorsteht. Die Palliativmedizinerin Claudia Bausewein berichtete 2019 in einem Interview von ihren Erfahrungen mit Sterbenden. Auch sie stellt fest, dass manchen Menschen die Fähigkeit im Leben fehlte, Dankbarkeit zu empfinden oder das Schöne im Leben zu erkennen. Sie sagt: „Es ist ja nur selten so, dass ein Leben nur negativ oder nur positiv ist. Die Frage ist: Kann ich mich an einem guten Gespräch freuen? An einer gelungenen Beziehung, einem schönen Abendessen? Das ist, was bleibt.“
Tatsächlich beeinträchtigen aber ständige Grübeleien, das Herumkauen auf störenden Gedanken und ein endloses Sich-im-Kreis-Drehen viele darin, aufmerksam im Hier und jetzt zu sein. Und damit wird verhindert, dass wir unsere Potentiale für ein zufriedeneres Leben nutzen. Diese Gedanken färben uns grau, oder wie der römische Philosoph Mark Aurel es treffend sagt: Auf die Dauer nimmt unsere Seele die Farbe unserer Gedanken an.
Eine Meditations- und Achtsamkeitspraxis hilft Dir, wieder verstärkt Gefühle von Gelassenheit, Dankbarkeit, Lebensfreude und Sinn zu erleben. Es ist eine grundlegende spirituelle Wahrheit, dass wir nur eine begrenzte Kontrolle über die Ereignisse in unserem Leben haben. Man kann das auch anders ausdrücken: Wenn Du Gott zum Lachen bringen willst, teile ihm deine Pläne mit. Glück ist, eine annehmende, positive Gestimmtheit dem Leben gegenüber zu entwickeln und ein Loslassen der Illusion, dass wir unbegrenzte Kontrolle darüber haben. Glück und Erfolg bedeuten Offenheit dem eigenen Leben gegenüber, so wie es sich zeigt und die Bereitschaft und Anstrengung, die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln und den Geist zu schulen. Das Wie bestimmt letztlich unser Glück, weniger das Was.
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